Lotte Mühlborn

                                                                                                              

Klingend Menschenwort Seite 3

Versäumt

Was sinnst du, kam deine Frage,
du schaust so verträumt!
Ich denke vergangener Tage
und was ich versäumt.

Da finde ich klingende Stunden
in Jugendglück.
Auch blieben von schmerzenden Wunden
mir Narben zurück.

Es blühten die Rosen, die roten
wie Herzblut im Licht,
doch unten die lieben Toten,
die wussten es nicht.

Zuweilen pocht mir im Blute
wie trauernder Sang
das achtlos versäumte Gute.
Weiß nicht mehr wo und wie lang.
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Versunken im Strom

Spürst du die Male des Lebens,
die Narben des Leidsfreue
dich, Wandrer!
Sieh, es versank dir am Wege
nicht nur das Schöne.
Es ruht im Grabe der Zeit
auch was dich schmerzte einmal-
Steine, versunken im Strom.
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Verzweiflung

Am tiefsten in den Brunnen deines Lebens
blickst du, wenn du an seinem Rande stehst
in Nächten, da du mit dem Schicksal haderst
und Gott in allen Welten suchen gehst.

Dann läuft dein stummer Ruf im trostlos Dunkeln,
wie ein verirrtes Kind nach seiner Heimat sucht.
Kein Echo kommt, kein Stern. Und keine Stimme
weist freundlich dir den Weg zur Friedensbucht.

Und wie du so an Gottes Toren rüttelst,
fällt es dich an, das große Einsamsein.
„Gibst Trost, ach Gott, du nur in deinem Himmel,
und lässt mich hier auf meinem Weg allein?“
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Vinetastunde

Wenn der Abend über Tal und Hügel
ruhsam schreitet
und die Stille ihre weichen Flügel
um dich breitet,
steigt herauf aus deines Lebens Tiefen
manchmal ein Vineta - Läuten.
Wie ein Duft aus lang vergilbten Briefen
und dem dürren Kranz von Bräuten
wehts dich an und deine Seele wandert weit,
wandert einsam auf und ab
an dem Strande einer lang versunk`nen Zeit.
Und sie lauscht hinab,
wie im Traume, auf die trauten Klänge:
Träumt`ich dazumal?
Träumt`ich heute?
Ach, nur eines einz`gen Tages Länge
wieder weilen in versunknem Tal!
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Vorspruch zu einem Lehrerjubiläum

Es war, da im Kalender stand geschrieben:
Im Jahre 1900 steht die Christenwelt.
Ein Häuflein junger Menschen, eng gesellt
bisher in Freud und Leid, in Kampf und Lieben,
war da aus sicherm Port hinausgefahren
aufs Lebensmeer, allein, im engen Kahn.
Wo läuft mein Schifflein seine Insel an?
Irrfahrten gibt’s in sturmbewegten Jahren;
da drohen Brandung und – Sirenensang.
Gib acht nun, junges Blut, daß du nicht kenterst,
im Übermut den sichern Kurs nicht änderst,
bis die die Landung auf dem festen Grund gelang.
Es schwanden vier Decenien seit dem Tage,
da ihr den Abschiedsbecher froh geleert.
Leicht war das Ränzel und der Beutel unbeschwert,
im Kopfe nur trugt ihr des Wissens Plage.
Aus den Examensnöten kaum entronnen,
das Staatsdekret als Kompaß in der Tasche,
trugs Schifflein euch, das wimpelfrohe, rasche,
hinaus ins Leben, in der Freiheit Wonnen.
Wie auch des Amtes Würden euch beglückten –
ihr saht die Erde noch mit Kinderaugen an.
An Kinderaugen reiftet ihr heran
die gläubig und vertrauend auf euch blickten.
Bald wußtet ihr: Mein Wissen hilft mir nicht.
Gott gib, so mochte mancher heimlich flehen,
zum Amte auch das freudige Verstehen,
die Liebe, die zum Kinderherzen spricht.
Des Kleinmuts und der Zweifel böse Geister fochten
euch an, wenn Dornen wuchsen auf dem zarten Beet,
auf das in Gärtnerfleiß ihr gutes Korn gesät.
In Kronen sind auch Dornen eingeflochten.
Und Kronen tragt ihr, seid von Kindesgnaden
so hoch gestellt in euerm kleinen Reich,
kein Erdenkönig kommt an Macht euch gleich.
Dem Kinde seid unfehlbar ihr und wissensreich,
den lieben Gott selbst könntet ihr beraten
Und war nicht königlich der Lohn, kein goldner Regen,
und drückte euch gar oft der Wanderschuh-
euch flog manch liebes Kinderseelchen zu,
das Gold der Liebe durftet ihr zum Solde legen.
Den Dank der jungen Menschen, die in Treuen
ihr habt geführt mit gütiger fester Hand.
Das Gräslein Undank, das wohl auch sich fand,
das übersaht ihr, ohne es zu scheuen.
So ging die Wanderfahrt durch Sonn und Regen
bis ihr auf Bergeshöhe angelangt,
wo friedlich nun der Abendhimmel prangt
in mildem Rot, wo Stürme sich und Hitze legen.
Und auf die Haltestellen eures Lebens
schaut ihr zurück ins ferne Jugendland.
Wie leise Glocken vom Vinetastrand
hört ihr die Stimmen eures hoffend jungen Strebens.
Am Kreuzweg oben trafen sich beim Wandern,
die einst der Fahrt gehofft aus engem Port.
Gott grüß dich, Bruder, klingt das frohe Wort.
Sie zählen sich – wo blieben wohl die andern?
Die nahm der Tod. In seinem stillen Nachen
fuhr Charon sie der Friedensinsel zu.
So grüßen wir euch in der ewgen Ruh!
Ein stumm Gedenken, dann – das Leben will ja lachen!
Froh will die Stunde euch vereinigt finden,
in Wanderlust, „ weil noch das Lämpchen glüht“.
Noch sind nicht alle Rosen ja verblüht,
das Leben mag noch manchen Kranz euch binden.
So bietet auch ein Sträußlein, duftig zart,
euch die Erinnrung heut mit lieber Hand.
Sie hats gepflückt im trauten Jugendland.
Ein froh Glückauf denn zu der Weiterfahrt!
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Wandrer du auf schmalem Grat

ör ich fern den Urstrom fließen
hinterm weiten Raum der Nacht?
Geht der Wind auf Weg und Wiesen?
Meine Seele sinnt und wacht.

Und von einem Strand zum andern
hör ich viele Füße gehen,
hör ich die Geschlechter wandern,
und kein Fuß blieb weilend stehn.

Und es raunt die Nacht mir leise:
Wandrer du auf schmalem Grat,
bist du fertig für die Reise
wenn das fremde Schifflein naht?
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Wenn der Holzwurm seine Stunden zählt

Wenn die Nacht in Schlaf und Traum dich bindet
und der Holzwurm seine Stunden zählt,
fliegt die Seele endlos weit und findet
goldnes Land, von Kinderglück beseelt.

Klingt es nicht wie ferne Heimatglocken-?
Sind es Rufe aus versunkner Zeit?
Wie in leiser Trauer geht ein Locken:
Ach, was gingst du fort und gingst du weit!
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Wenn die Seele Schattenwege geht

Wenn die Seele Schattenwege geht,
glaubt sie nicht mehr an ein warmes Licht;
nicht, daß über ihr ein Himmel steht,
draus die Sonne golden wieder bricht.

Schwing dich auf, o Seele, wie der Aar
der die grauen Wolken überfliegt
und im Blauen, aller Schwere bar,
einsam überm Erdenleid sich wiegt.
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Wie läuft die Zeit

Ach, Enkelkind, wie läuft die Zeit so geschwind!
Sie reißt uns mit an der unbarmherzigen Hand
und läßt nicht friedlich uns rasten an grünem Strand.
Die Tage, die am Mittag schon welkende Blüten sind,
zerflattern am Abend im ewigen Weltenwind,
die blassen und leuchtenden Tage.
Und hörst du im Glockenschlage
die Stunden rieseln und wie das Leben verrinnt?
Nein, du hörst es nicht, Kind.
Dir ist das Leben ein sorglos Spiel an der Quelle,
ein Blütenpfad in die Unendlichkeit.
Dir klingen die Blätter am Wege und singt die Welle,
dir fiedelt die selig verweilende Zeit
und führt dich lockend voran in ein Wunderland.
Du glaubst nicht an Straßen voll Staub und voll Sonnenbrand.
Dein lieblicher Pfad in Blumen und jungem Grün,
wo Märchen wachsen und traumhafte Sterne erblühn,
er scheint dir zu münden gradaus in die Ewigkeit.
Aber die Zeit!
Sie wartet nur, bis dein Fuß dir erstarkt und die Hand,
dann ändert sie mählich den Schritt:
Du kannst das Leben nun tragen, komm mit!
Und zeigt dir im Stundenglase den Sand:
Sieh, wie er rinnt!
So muß ich rinnen und mußt du eilen, Kind!
Und unerbittlich läuft sie, die Zeit.
Willst du dich stemmen,
ihr weigern den folgsamen Schritt,
du kannst sie nicht halten, die rasche,
sie reißt dich mit!
Kein Ruf hält sie auf.
Und hat sie vielmal dich geführt im gewohnten Lauf
durch Sommersonne und Winterleid
dann kennst du den Schritt der Zeit!
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Zerfallener Garten

Einmal hatt` ich träumend mich verlaufen,
wollte suchen nach der lichten Zeit
und nach Jugendglück und Kinderleid. –
Lag im Nebel alles, lag so weit!
Tränen tropften heimlich aus den Traufen.

Und es ging ein Summen in den Lüften,
wie ein Zephir geht auf Harfengrund.
Fröschlein riefen aus dem Teich im Rund,
und es klang so weit und klang so wund,
wie ein Eulenruf aus fernen Klüften.

Irgend ging ein Raunen rund im Garten,
ging an grünbemoosten Teiches Rand,
wo die Laube einst in Efeu stand. -
Welke Rosen tropften in den Sand,
konnten einer Schere nimmer warten.

Grüne Echsen huschten auf den Stufen,
sahen fremd und fragend nach mir her.
Schmale Fensterhöhlen standen leer –.
War wie Abschied ohne Wiederkehr.
Fern im Wald verlor sich leis ein Rufen.
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Zertreten

Auf dem Steig zertreten liegt ein Wurm,
dürr, gekrümmt, erstarrte Schmerzgebärde.
Armer Wurm im Staub der Pilgerstraße,
Menschenfüße schreiten rasch und hart!
Oder starbst du an dem Licht der Sonne,
an dem gleißend unbekannten Strahl?
Ach, was bliebst du nicht in deinem Boden,
in der kühlen sichern Heimaterde!
Friede gab sie dir und stilles Glück.
Bleiches Mädchen, deiner muß ich denken,
so ich denke des zertretnen Wurms.
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Zur Nacht

Sinnend höre ich im Windeswehen
eines Weltenschöpfers Odem gehen.
Wie der Regen in die Bäume fällt
und am Deich der Fisch im Wasser schnellt.
Nah im Walde – wars der Schreckenslaut
eines Vogels, der den Feind geschaut?
Helf ihm Gott! Ein Grillchen zirpt im Gras
klingt wie Silber auf kristallnem Glas.
Alle Blumen, alle schliefen ein
süß berauscht von ihrem Nektarwein.
Irgendwo im grünen Walde geigt
noch ein Wichtel.- Träume ich vielleicht - ?
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