Lotte Mühlborn

                                                                                                              

Bedauernswerter Sokrates!

Sokrates, der weise spricht:
Freund, mein Weib gefällt mir nicht.
Daß sie meine Fehler kennt
- unter uns - und gar sie nennt
mit dem freundlichsten Gesicht,
ola, das vertrag ich nicht!
Schweigt das Weib auch manchmal schlau,
weiß ich dennoch ganz genau,
was es denkt. Und sauf ich mal,
seufzt sie, und ihr mund wird schmal,
statt zu sagen: Schmeckt der Wein?
Lebst nur einmal, schenk dir ein!
Werd ich zornig, ist sie stumm,
tut, als wär sie taub und dumm.
Aber was sie innen denkt –
lieber Freund, wie das mich kränkt!
Schütt ich mal´n Tintenfleck
auf den Boden, macht sie´s weg;
doch der Vorwurf: Gib doch acht!
hat mich hell in Wut gebracht.
Kann ich für mein Missgeschick?
Sollte mich mit sanftem Blickfreundlich trösten: Laß nur sein,
besser als du brachst ein Bein!
Glaub mir, Freund, ich hab es schwer;
Und ich sag es frei umher!
Solchen Sokrates, ihr Leute,
gibt es überall noch heute.
Nur, dass er so weise nicht
zu den Volksgenossen spricht.
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Der alte Pfarrherr und sein Faktotum

(Philosophie im Pfeifenrauch)

Stopf mir meine Pfeife, Max und hör mir zu:
Seine Sorgen hat man mit dem Volke,
ist so jach wie eine Wetterwolke!
Jo jo, brülln sich an wie Ochs und Kuh!
Ist wohl wahr. Doch draußen wenn sie reden,
tun sie es manierlich, wie es Pflicht.
Nur daheim, da können sie es nicht.
Hochwürden, jo, die Hämmel die, die blöden!

Ach, gar zucht- und gottlos ist die Zeit!
Wie ich jung war, ja, da wars noch gut!
Ehr und Anstand trug man unterm Hut.
Jo, ´s packt kan Vadder mer san Srößling heit!

Max, die Morgenzeitung leg mir her.
Und aufs Eis die letzte Flasche Bier,
von der Sendung mit dem Bandelier.
Barand(?) Josef – Hochwürden, die Flasch´n – is leer.

Ei so trankst du es, das Münchner Bier?
Und wer hieß dich, das zu tun, du Schaf?
Gab es dir der Herr vielleicht im Schlaf?
Ach, i merk, m´r san d´ham un draus d´Manier.

Und der Pfarrer lacht: Schau mir den Schelm!
Fängt der Kerl mich mit dem eigenen Wort!
Mach und heb dich eine Weile fort!
Schad um´n Kaffee unnerm Zipfelhelm!

Ei so bring ihn her! Das nächstemal
trinkst du Wasser statt dem Münchner Bier!
Und die Strafe – na, die schenk ich dir.
Nein, verdammt, Reis kriegst am Mittag und ich eß den Aal!
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Der alte Winzer

Laßt mir doch die Hacke in der Hand,
meinen Wingert half ich noch versehen!
Wenn die Morgensonne scheint im Land,
mein ich, muß ich in die Reben gehen.

Achtzig Jahre sind noch keine Zeit,
schlapp die Hand zu falten, Faule Faxen!
Will es drüben in der Ewigkeit
einmal tun, wo keine Reben wachsen.

Sauber will ich noch und akurat
meine Zeilen hacken, Reben schneiden.
Will die Bogen heften an den Draht,
Trauben sehen in die Kelter gleiten.

Ja, mein Schöppchen bau ich selber noch!
Gluckert dann der Neue mir im Keller,
denk ich dran, wie ich ihn selber zog,
Riesling und Burgunder, Muskateller.

Sagt der Herrgott endlich: Komm, es langt,
Alter, will ich fromm und friedlich gehen,
mach´n Kratzfuß droben: Sei bedankt!
Aber – meinen Wingert laß mich sehen!

Gib ein Sternenfensterchen mir frei,
einen Spalt an Deinem Himmelsrand,
wo ich seh da drunt im Allerlei,
was sich tut auf meinem Wingertsland.

Und die lieben Englein ruf ich her:
Seht den Wingert, Kinder, der war mein!
Wird mir dann, wer weiß, ein bißchen schwer,
schluck ich zwar vielleicht: O Pfalz am Wein!
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Der Ausgewanderte

(Im Gedenken an meinen Bruder überm Weltmeer)

Wenn ich wiederkehre in mein Tal –
ach, wie dacht´ ichs oft und viele mal!
Gehen wird´ ich die vertrauten Pfade
und – an Gräbern stehen ohne Gnade.

Die mich liebten, meiner Heimkehr harrten
konnten länger nicht mehr auf mich warten.
Quellen nur und Wälder werden rauschen
so wie eh und Grüße mit mir tauschen.

Fremde Menschen werden halb sich drehen
nach dem Fremden und im Weitergehen
wohl sich wundern: Lief dem Alten nicht
eine Träne übers Angesicht?

Und auf Steinen werd´ ich Namen lesen
derer, die mit mir so jung gewesen;
Namen mit so lieb-vertrautem Klang!
Ach, wie ging ich weit und blieb ich lang!
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Der Bauer – ein Freiherr

Die Großen der Erde, ich neide sie nicht,
und nicht die in Ämtern sich bücken in Pflicht.
Die untergegangen im steinernen Meer,
sie kennen den Frieden der Weite nicht mehr.

Was wissen die armen vom Puls der Natur!
Vom Lied bei der Arbeit! Sie fronen ja nur.
Ein Freiherr des Lebens, ein Bauer bin ich!
Nur Sonne und Regen Gebieter für mich.

Ein Stückchen der Erde, und sei es auch klein,
ein Stückchen der schönen Erde ist mein.
Ich bin mit dem Herrgott beim Schaffen auf du,
ich säe, er spendet das Wetter dazu.

So leb ich mein Leben im Gotteslicht,
mich drücken nicht Silber und Goldes Gewicht.
Und ward einst ein friedliches Grab zum Lohn,
dann ruht in der Erde ihr treuester Sohn.
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Der Hypochonder

Dieser Wind aus Ost
bringt uns wieder Frost!
Aber schneien müßt es, schneien!
Na, so schilts der Herr im Maien
Böse Himmelspost!

Ach, mein Zipperlein!
Hätts der Franz am Bein!
Aber der mit Beil und Säge
holt zum Winter allerwege
noch den Brand sich ein.

Schickt die Kinder fort!
Man versteht kein Wort!
Käckern, meckern wie die Ziegen,
ist ja um die Kränk zu kriegen!
Bin kein Kinderhort!

Hört Ihr nicht dem Spund
seinen Strubbelhund?
Soll der Hannes doch mal sehen!
Muß ich denn zugrundegehen
an des Nachbars Hund!

Hach, man hat es schwer
mit der Welt umher,
wenn als einz´ger von Verstand
man von allen wird verkannt!
Das verdrießt mich sehr!
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Der junge Wandergesell

(Nachkriegszeit) Der fremde Meister hieß mich zögernd gehen,
kam einer her, der hatte Weib und Kind.
Du bist noch frei, magst dir die Welt besehen!
So wandre ich, mein Bruder ist der Wind.

Nicht fleht mich eine Mutter an, zu bleiben,
und keines Vaters Ruf hält mich zurück.
Mein Mädchen lehnt die Stirne an die Scheiben
Und sieht mir nach mit tränenfeuchtem Blick.

Frei bin ich – allen Winden freigegeben!
Nichts hält mich fest, nichts zieht mich heimlich fort.
Vorbei an öden Feldern, leeren Reben
führt mich mein Weg, weiß nicht an welchen Ort,

Und kommt der Abend, seh ich helle Scheiben
in Bauernhäusern mild und freundlich stehn.
Dann fällt mich Heimweh an – einst konnt ich bleiben
in solcher Hut, wenn draußen Stürme gehen.

Halt, sind es Tränen, die ins Auge mir kamen?
Geh, schäm dich, Junge, halte Widerpart!
Fragt uns der Herbergswirt nach Art und Namen,
dann bin ich wie die andern, stumpf und hart.
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Der Jungfer Klagetraum

Zu einem Lager herrlich roter Äpfel
entführte mich ein Fiebertraum im Fluge.
So greife zu, rief eine Stimme, wähle!
Ich wählte und verwarf, und wählte weiter,
die schönsten solltens, ohne Fehle, sein.
Es ging die Stunde, ging der Tag dahin,
gleich einem Taubenschwarm in raschem Flug.
Da schwanden leis vor dem enttäuschten Auge
die Früchte mir. Ich hob die Hand und rief –
Leer war die Stätte, leer auch meine Hand!
Und fröstelnd las ich auf dem leeren Borde:

Z U S P Ä T !

Warum nur muß ich oft des Traumes denken,
der mir die roten Äpfel wollte schenken!
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Der Lebenskünstler

Mein Hut hat Knitterecken,
mein grüner Wanderhut.
Und hol ich meinen Stecken,
dann hol ich auch den Hut.

Wenn ruhsam wir dann schreiten
so über Tal und Höhn,
dann sag ich zu den beiden:
Wie ist die Welt so schön!

Dann hüpft mein Stock vor Freude
und schaut mein Hut vergnügt
mit seinem Herrn ins Weite,
bis er im Grase liegt.

Ich längelang daneben.
Mein Wanderstecken zielt
nach einem Häslein eben,
das Männchen macht und spielt.

Cuck cuck, rufts da im Raume,
guck guck doch, Langohr, lauf!
Da lacht zum Wolkensaume
Frau Lerche sich hinauf.

Und Pickerik, die Wachtel
im nahen Weizenmeer
wirft ihre Viertel-Achtel
wie Perlen nach mir her.

Preist sie vielleicht im Liede,
im kleinen Solostück,
des großen Schöpfers Güte?
Schön, kleiner Pikwerik!

Der Grille endlos langen
Liedstrophen hör ich zu.
Wie Silberschnüre hangen
sie über mir in Ruh.

Wer hindert mich, zu schlafen,
wann ich und wo ich will!
Ihr, Hut und Stock, Ihr braven
bewacht mich treu und still.

Ich und meine Wanderstecken
und mein getreuer Hut
mit seinen sieben Ecken,
wir drei, wir fahren gut!

Wir pfeifen mit den Vögeln
auf allen Flitterschein
und alle feinen Regeln.
Wir wollen glücklich sein!
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Der Richter und drei Frauen

Schicksal mußt´ ich heute wieder spielen
meinem Kinde, und der Spruch war schwer.
Rosig kroch das Kleine auf den Dielen,
bleich und weinend sah die Mutter her.

Wird die neue Mutter ihm, die reiche,
Liebe schenken, dem gekauften Kind?
Kann die ringgeschmückte Hand, die weiche
auch die Zügel führen, fest und lind?

Oder hätt die Frau im schwarzen Kleide
Sichrer es geführt auf seiner Bahn?
Wär ihm Halt gewesen, Trost im Leide?
Gott allein nur sieht die Herzen an!

Tastend nach dem Rechte greift das Leben,
wie die Göttin Themis, die ja blind!
Und der ew´ge Richter wird vergeben
allen, die guten Willens sind.
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Der Strafgefangene

Hab den Vater früh verloren,
und die Mutter ging davon.
Trieb mich um an fremden Toren,
war ein hungrig Dieblein schon.

In der Pflegeeltern Hütte
bei der Viere keckem Hund
lag ich nächtens auf der Schütte
wie ein zugelaufner Hund.

Keine Hand fuhr mir in Liebe
einmal übers wirre Haar,
und kein sorglich Gott behüte!
warnte mich in Schuldgefahr.

Bald schon durft ich Schmiere stehen,
und auf meiner Mutter Sohn
war Verlaß. Ein Ding zu drehen
lernt ich dann von selber schon.

Daß es Liebe gab im Leben
lehrten mich die Mädchen bald;
doch die rechte war es eben
nicht. Der Jugendrichter schalt.

Daß ich hinter Gittern heute
sitze wie ein wildes Tier,
sagt, wie kams, ihr braven Leute,
ihr Gerechten, sagt es mir!
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Der Tramp erzählt

Aus der Hütte ging ich lange schon,
meiner Heimat früh verlorner Sohn.
Unsern Vater schlug die Pappel tot,
und die Mutter sagte, sucht euch Brot.

Waren arm, und war ein Tisch voll Esser.
Draußen, dacht ich, und allein ist besser.
Ging, und fand die Spur nicht mehr zurück,
war ein Wandervogel ja und flügg.

Draußen auf den weiten Wanderstraßen,
wo im Herbst die rauhen Stürme blasen,
denk ich manchmal an ein Lampenlicht,
aber heimwärts stehn die Füße nicht.

Soll ich zu dem Bruder gehen, dem braven:
Peter, gib ein Eckchen mir zum schlafen,
bis die Schollen auf den Bächen treiben
und die Weidenkätzchen wieder stäuben.

Nein, muß ja ein Frühling wieder kommen,
denen draußen wie daheim den Frommen.
Bringt den Kuckuck und die Vogellieder,
und das Wiesenbächlein wispert wieder.

Und das Gras wird grün, und Rinder muhen.
Fort ins Bächlein mit den alten Schuhen!
Läuft sich auch, so frei und unverhohlen,
leichter auf den eignen Ledersohlen.

Und so ging es rundum Jahr um Jahr.
Sonn und Regen bleichten mir das Haar
und die Winde kämmten es geling,
so wie Mutterhände einem Kind.
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Der Tramp erzählt

Der Schnaps ist mir das Licht in meinem Leben,
der beste Freund auf meiner harten Bahn.
Gott selber ja hat mir den Durst gegeben!
So trink ich denn – geht keinen etwas an!

Ich trink den Schnaps an meinen frohen Tagen,
und an den bösen brauch ich ihn erst recht.
Was soll ich nach dem lieben Nächsten fragen!
Die raten mir doch allerwege schlecht.

Der größte Kummer aber, den ich hehle,
das ist die Kätt, mein angetrautes Weib.
Die Kätt hat keinen Sinn für meine Seele
und keinen für den Durst in meinem Leib.

So trink ich denn – die andern sagen saufen –
solang mir Gott den Odem dazu schenkt.
Und komm ich endlich zu dem großen Haufen,
so hoff´ ich, daß man durst´ger Seelen denkt.
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Des alten Forstwarts Abschiedsgang

Nein, ich kann den Bub nicht brauchen heut,
fragt so viel, und ich soll Antwort geben.
Gehen will ich ganz für mich allein,
Abschied ist ein schweres Wort im Leben.

Wo am Hollenweg die Heide blüht
und am Hang die jungen Birken stehen
will ich in den roten Glöckchen sitzen
und ins Wiesental hinunter sehen.

Will dem Häher lauschen, der das Wild
vor dem Jäger warnt mit jähem Ruf.
Will das Krabbelvolk beseh´n im Grase,
wie 's der Herrgott hundertfältig schuf.

Morgen werd ich auf dem Sofa sitzen,
meinem neugemachten Kanapee.
Kannst geruhsam durch die Scheiben gucken,
sprach der Konrad, und es tat mir weh.

Und Karlens sprach: Die Kinder warten;
Gestern beim Gestlein fragte Rolf:
Kann der Opa Märchen auch erzählen?
Märchen, brummt' ich, weiß nur das vom Wolf!

Durch die Scheiben sehen! Sind mir Gitter!
Schön ists nur in Gottes grüner Hut!
Mit dem Kanapee - da kann ich warten,
bis der Schnee auf Bruch und Heide ruht.

Aber denken werde ich im Winter
an die Heide und das Entenbruch.
Und ich werde durch die Scheiben sehen
nach der Wandergänse fernem Zug!

Nun will ich den stillsten meiner Pfade
wandern, wo der Rabenbaum sich reckt
und der graue Findelstein darunter
meinen lieben alten Ratzel deckt.

War mein treuster Freund! Bei einem Treiben
traf ihn die verirrte Ladung Schrot.
Wollt ihm übers Grab Halali blasen –
bracht es nicht heraus in meiner Not.

War mir schwer dermalen, aber schwerer
ist mir heut, am Herbsttag warm und hell.
Will zum Scheidegruß noch einmal trinken
am vertrauten felsgefaßten Quell.

Morgen dann, da werden sie mich holen,
und die Wagenspur verweht im Sand.
Hilf mir, Herr, daß ich zurecht mich finde
in dem neuen pflichteleeren Stand!
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Die Einsame

Es bebte mein Herz in Traurigkeit,
als der einsame Vogel sang.
Wie süßwehes Märchen aus alter Zeit,
gespielt auf der Geige, in Liebe und Leid
aus der Vogelkehle es drang.

Mein Leid, es schlief schon langelange ein –
schwarz Vögelein, weck es nicht auf!
Mein Liebster ging fort in die Welt hinein,
ich blieb bei der Mutter, konnt anders nicht sein,
ließ nächtens den Tränen Lauf!

Wie spielt´ er die Geige im Dämmerlicht,
süß-traurig wie Amselgesang!
Die Mutter sagte: Das Herz mir bricht
von der Geige, doch gehen laß ich dich nicht!
Ich blieb – und wartete lang!

Flieg, Vögelein, und hörst eine Geige du gehen
w irgend im Abendrot,
und mag, der sie spielet am Fenster stehn,
so grüß ihn, als wäre kein Leid uns geschehn!
Oder sag, ich wär lange schon tot!
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Die Gefallene

Hab, ein irrer Vogel, mich verflogen!
Der mich hielt und hegte, war so weit!
Kommt er nach dem Kriege heimgezogen,
jagt er mich davon in Zorn und Leid.

Ach, ein Raubtier hält mich in den Krallen,
und ich habe nicht die Kraft, zu fliehn!
Wo auch hin, mein Vater ließ mich fallen,
Mutter schläft schon lange unterm Grün.

Kinderhändchen hätten mich gehalten,
doch der Himmel schloß mich Ärmste aus.
Kinderhändchen, die sich betend falten,
scheuchen Böses fort von Herz und Haus.

Statt der süßen Liebe zu dem Kinde
und der warmen Sorge um sein Brot
trag im Herzen ich die Glut der Sünde!
Hilf, Barmherz´ger mir in meiner Not!
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Die junge Frau

Mutter, es war dein Wille und war dein Rat.
Nun muß ich gehen den dornengesäumten Pfad.
Ein Schemen war es, das wesenlos weichende Glück.
Nun führt kein Wissen, kein Weg aus der Irre zurück!

Ach Mutter, mein Herz ward bitter in seiner Not,
und war doch einst gut von allem Schönen durchloht!
Doch hab ich sorglich mir meine Seele bewahrt,
mein Erbe aus rechtlicher Ahnen ernst-froher Art.

Und wär es, daß einst wir in einem Himmel uns fänden –
ich würde schweigen, Mutter, in deinen Händen
das Angesicht bergen, wie einst ich getan als Kind
und Du mich getröstet im Leide, liebreich und lind.

Und sähe dein Mutterauge prüfend mich an,
ich neigte mich: Mutter, es war ja doch alles ein Wahn!
Ein Staubkorn war ich, im kleinen verankert und blind,
blies drüber und blies es ins All der Gräberwind.
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Die Verlassene

An seinen Worten war ich erwarmt,
an seinen Küssen erglüht.
Nun ging er. Ich blieb, im Tiefsten verarmt
Und trag die Schmach im Geblüt.

Haß ich den Falschen, der mich trog,
und schrei seine Schuld in die Welt?
Oder – lieb ich ihn immer noch,
der mir das Leben vergällt?

O Schöpfer, du weißt es, ich fluche ihm nicht!
So hilf mir, ich flehe zu dir:
Gib meinem Kinde sein Angesicht,
die Seele gib ihm von mir!
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Die verlassene Braut

Ein grauer Tag, so recht gemacht zum Scheiden,
so ganz erfüllt von ahnungsbangem Weh.
Ich starre düster in verhängte Weiten.
Wie schwere Tränen tropft es in den Klee.

Fahlnasse Blätter sinds, geweint von Bäumen,
die still und traurig in den Himmel starren.
Da wars, dass ich mein Hoffen und mein Träumen
zu Grabe trug und mein getreues Harren.
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Gunda, die Nonne

Es geht eine Sage im grauen Haus,
im grauen Haus am Rhein:
„Das Nönnchen, es stahl sich zur Pforte hinaus,
zu der heimlichen Pforte im grauen Haus,
und schlich durch den Garten zum Hain.
Das Nönnchen, schwarzlockig und wangenrot,
war die jüngste im frommen Kreis.
Und die Lippen, die sie dem Rittersmann bot,
die Lippen, die waren so rosenrot
und küssten so innig und heiß.
Doch einmal, da hat der Riegel geklirrt
und das Roß gewiehert im Wald –
Eine Lauscherin meldete es bald. Schwester Gunda, wo ist dein Fuß geirrt?
Taunaß dein Gewand,
am Saume hängend Sand,
und es zittert dir leise die Hand!
Dies Tüchlein lag an der Halde,
sag an, was tatst du im Walde?
Dein Mund, er schweigt,
und dein Antlitz erbleicht!
Unselige, sahst du den Bösen vielleicht?
Schwester Gunda blickt nieder und schweigt.
Schwester Gunda saß viele Tage allein
in der Zelle im grauen Haus.
Die Käuzchenrufe im nahen Hain,
die Käuzchenrufe die flogen herein
und die Seufzer Gundas hinaus.
Und einmal, sie lehnte im Mondenschein
Am offenen Fenster, da flog
ein zierlicher Pfeil herüber vom Hain,
war drangebunden ein Briefchen fein.
Herzklopfend sie nieder sich bog.
Und drauf in der Frühe, da fehlte im Chor
der Beterin eine. Man fand
- der Schwester Josephe das Blut fast gefror -
am Kreuz ihrer Zelle den Schleier, davor
am Boden das leere Gewand!
Am Fenster außen hing tief hinab
ein Seil aus zerschnittenem Linnen.
Und hörte man nächtens nicht Pferdegetrab -?
Gottvater im Himmel, fahr strafend herab –
zwei stoben, zwei Sünder von hinnen!“
Es geht eine Sage, die nicht verblich
im grauen Hause am Rhein.
Die frommen Frauen bekreuzen sich:
O himmlicher Vater, erbarme dich
Der Seele in Fegfeuers Pein!
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Hefeblümchen

Einen Monat sitz ich nun im Kasten
um das schlechte Ding, die Monika!
Lieber einen Tag der Woche fasten,
raus nur, raus aus dem Kasten da!

Meinen Jonny hat sie mir gestohlen,
das verdorbne Ding im Wuschelhaar!
Jonny, der mich später wollte holen
in das Land, wo meine Heimat war!

Hab der Monika die reine Larve
gerne noch ein bißchen ausgeschmückt!
Huch, was schrie sie Mordio, wie die scharfe
Lauge ihr das Siegel aufgedrückt!

Viel kann der Gerichtshof mir nicht wollen,
war ja doch in meinem guten Recht!
Die fing an mit Wink und Augenrollen,
und sie machte mich bei Jonny schlecht!

Ach, auf Jonny muß ich nun verzichten!
Tränen sind und Treuebruch der Rest!
Könnt man zweimal etwas doch verrichten –
gleich tät ich es wieder, aber fest!
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Klage der jungen Frau

Tausendmale, daß ich froh und frei
über eine traute Schwelle ging!
Amsel flötete im Waldesring,
Schwalben flogen jauchzend mir vorbei.

Einmal aber, daß ich herzensfromm
über jene liebe Schwelle trat.
Winterschweigen lag auf Wald und Pfad.
Nur die Irrwurz lockte: Mädchen, komm!

Und so trat ich auf die falsche Bahn. –
War so jungendfroh im Schwesternring,
bis den Weg der Nimmerkehr ich ging.
Irrwurz, ach was hast du mir getan!
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Klagende Mutter

Mein Kindlein hat mich verlassen,
ist gangen wohl weit aus der Welt.
Spielt nimmer in sonnigen Gassen
und nimmer im blumigen Feld.

Es lachen in Ewigkeit nimmer
die Schelmenaugen mich an.
Nie durch der Locken Geflimmer
zieht meine Hand mehr die Bahn.

Das Trippeln der Füßchen, der leichten
hört nimmer das lauschende Haus.
Die blühroten Lippen verbleichten,
erstarrten am kältenden Graus

Ach, einmal noch möchte ich pressen
mein herziges Kind an die Brust!
Nur einmal ein selig Vergessen
mir trinken in Küssen voll Lust!

Ich wollte die Länder durchwandern,
durch Straßen und Märkte gehen
und fragen die einen, die andern:
Hat keiner mein Kindlein gesehn?
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Mädchen im Weltkrieg

Von der Sanduhr meiner Tage
rieselt Korn um Korn hinab
und in grauen Schleiern schreitet
meine Jugend still davon.
Einstmals ging in Rosenbändern
goldbeschuht ein Mädchenlenz
und Girlanden froher Lieder
kränzten ihn. Ach, meine Jugend
trägt der Tränen Perlenkette!
Spiel und Tanz, die Frohgeschwister,
blieben trauernd weit dahinter.
Mit den Händen möchte ich halten
jede rinnende Minute!
In sein Stundenglas zurück
jeden meiner Tage legen:
Bleibt, ich hab euch nicht gelebt!
Aber grau und unaufhaltsam
rinnen Stunden, rinnen Monde,
rinnen mir die Jugendjahre
in die stumme Ewigkeit.
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Träumendes Mädchen

Zuweilen ruhn die tatgewohnten Hände
im Schoße mir, indes ohn Rast und Ende
mein Geist in uferlose Weiten schweift.
Sucht er das Land der Schönheit? Oder greift
ins Blinde er und sucht nach blauen Sternen?
Was wartet mein in stumm verhängten Fernen?
Ein wenig Leid - hört ich die Mutter sagen –
birgt Jedes Glück. So will ich gerne tragen
im Glück zuweilen auch ein kleines Leid.
Und gut will ich und dankbar sein allzeit!
Gab ein Gott wohl dieses Glückserwarten
als stille Saat in meiner Seele Garten?
Mir ist, es warte irgendwo im Raume
ein Glück auf mich, das ich wie halb im Traume
nicht finden kann und dennoch finden werde.
Bewahrt mir solch ein Glück die schöne Erde?
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