Lotte Mühlborn

                                                                                                              

Albdruck

Stumm und gläsern ruht die Winternacht.
Doch im Hause regt sich’s heute sacht,
pocht es leise einmal da und dort.
Ging ein leichter Fuß nicht draußen fort?
Eine Stufe ächzt und eine Türe schien zu gehen.
Wo im Krug die roten Ampelzweige stehn,
fiel am Abend, wie berührt von Geisterhand,
leis ein dürrer Kelch aus dem Verband.
Knackt es im Gebälk? Wars auf dem Gang?
Rief mir wer - ? Hilf Gott, mein Herz ist bang!
Ist es doch, als ging Raum - ein und aus
eine Seele abschiednehmend durch das Haus.
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Des Winters Vorhut

Ach, der Winter greift nun bald zum Steuer!
Rings im Felde der Kartoffelfeuer
steiler Rauch ist sein Fanal.
Und die kalten grauen Nebel schleichen
- seine Vorhut - auf geheimen Steigen
aus dem abendlichen Tal.

Auf den herbstlich fahlen Weideplätzen
lagern sie, und zackig graue Fetzen
liegen waldentlang verstreut.
Als ob da Frau Sorge frierend gangen
und in dürren Schlehdorn blieben hangen
mit dem nebelgrauen Kleid.
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Die Christnacht klingt

Es geht ein leises Klingen
durch das verschneite Land.
Sind`s goldne Engelsschwingen?
Ist es ein Sphärensingen
von ferner Welten Strand?

Es lockt hervor
und zieht empor
Christrosen aus den Grüften,v und leiser rauscht
und heimlich lauscht
der Strom den frohen Lüften.
v Doch hört auf stillen Pfaden
zur Heiligabendzeit
ein Mensch den Glockenreigen
durch das bereifte Schweigen,
dann wird das Herz ihm weit.
Als sei ein Strahl der Gnaden
in lichtem Glanz erwacht.
Als käm auf weißen Wegen
das Christkind ihm entgegen
in heil`ger Weihenacht.

(Altrip a. Rh.)
Weihnacht 1918
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Eltern wir

Weihnachtsabend. Still der Raum.
Wein, Gebäck. Zuweilen Worte.
Jeder träumt den eignen Traum,
sucht Versunkenes, weiß die Orte -

Meiner Kinder denk ich
und der Weihnacht vieler Winter.
Ach, sie feiern nun für sich
und beschenken ihre Kinder.

Aber morgen kommen sie,
werden uns die Enkel bringen.
Eine Weihnachtsmelodie
hör ich fein im Herzen klingen.
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Friedensinseln

Nun sind sie da, die langen Abende,
wo bei der Lampe rötlich mildem Schein
sich die Familie warm und traulich sammelt.
So wie Natur, die mütterliche, ihre Keime
zurück ans Herz genommen vor dem Nord,
so zieht das Haus in seine wärmsten Kammern
das Leben ein, das arbeitsam ins Weite
der Sommer streute mit geschäft`ger Hand.
Wenn sich die Winde jagen um die Mauerecken,
von Regen singen und von blankem Schnee,
dann kauert die Behaglichkeit am Ofen
und lauscht verträumt dem leisen Flammenliede
und dem Geplauder warm geborgner Menschen.
Ein Märchen lugt vergnügt durch einen Spalt.
Wie liebt es Lampenlicht und warmen Ofen!
Was pocht am Laden? Will Knecht Ruprecht schon,
so früh im Jahr, nach frommen Kindern sehn?
Sie folgen, Ruprecht! Sieh nur dort den Jungen,
wie brav er sitzt und sich beim Rechnen müht!-
Mit feinem Silberklange gehen flinke Nadeln,
indes aus langer Pfeife auf zur Decke
ein blauer Rauch den Ringelreigen zieht. –
Ihr Abende, ihr trauten, die ihr friedlich
den arbeitsamen Tag beschließt,
kein Laut der sturmgefüllten Welt soll dringen
in euren Port, daß sich in euerm Frieden
die Seele bade für das harte Morgen
und seinen laut und leisen Kampf.
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In den Raunächten

Mein Vater, was steht die Mühle, sag an?
Sie darf nicht mahlen heut Nacht;
in den Raunächten darf sich verraten kein Hahn
und kein Hund, wenn er wittert und wacht.

So muß man sie fürchten, die Bösen im Sturm?
Ist besser, wenn alles verstummt,
wenn die Glocken lautlos hängen im Turm
und kein Pumpenschwengel mehr pumpt.

Und hören die oben bei Jagd und Gebell,
was unten geschieht im Grund?
Die ewigen Jäger, die hören hell,
sind ja mit der Hölle im Bund.

Und haben sie wem schon ein Leid getan?
Wer fromm sein Gebetlein sagt,
dem können die Bösen der Luft nicht an.
So bet schön und sei nicht verzagt.

Ach Vater, und wenn das Brüderchen schreit?
Das liegt noch in Gottes Hand.
Sein Seelchen schläft noch im Schleier der Zeit,
ein Englein hälts Wiegenband.

Und hörst du, Kind, wie der Schlafwichtel geigt?
So schlafe! Und wenn du erwacht
und die Sonne aus Nebel und Wolken schleicht,
ist vorüber die wilde Jagd.
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In der Sylvesternacht

Fahr wohl, du müdes entschlummerndes Jahr,
wir scheiden, wir beide, in Frieden!
Zwar machtest du manche Hoffnung nicht wahr,
hast Sorge mir auch beschieden.

Doch wohnte in unseren Pfählen das Glück,
das Liebe und Frohsinn uns weben.
Und findet manch Trübes mein prüfender Blick -
den Sterbenden sei es vergeben!

Doch dir, du junges erwachendes Jahr,
dir schauen wir gläubig entgegen.
So mache du unser Hoffen wahr
und die Wünsche, die heimlich wir hegen!

Auf das wir, wenn du die Runde vollbracht
und die Glocken zu Grabe dir klingen
in der rätselschweren Sylvesternacht,
ein dankbar Gedenken dir bringen.
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Jahreswende

( 2. Fassung unter "Jahreswende")

Fahr wohl, du müdes, entschlummerndes Jahr,
wir scheiden, wir beide, in Frieden.
Zwar machtest du manche Hoffnung nicht wahr,
du warst auch der Mühen und Sorgen nicht bar,
doch triebst du mir Frucht auch und Blüten.

In unseren Pfählen wohnte das Glück,
das Liebe und Frohsinn uns weben.
Und wandert still durch die Monde zurück
und findet manch Trübes mein prüfender Blick -
dem Sterbenden sei es vergeben!

Doch dir, du junges erwachendes Jahr,
dir schauen wir hoffend entgegen.
Wir grüßen dich gläubig, so mache es wahr,
dir bringen wir unsere Wünsch dar,
die offen und heimlich wir hegen.

Auf daß wir, wenn du die Runde vollbracht,
wenn die Glocken zu Grabe dir klingen,
und wenn in froher Sylvesternacht
dein jungfrischer Erbe zum Leben erwacht,
ein dankbares „Vivat!“ dir bringen.
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Krähe im Schnee

Aus dem Winterwald herüber
kam es übers öde Feld,
hockte wie ein Trauerzeichen
in der weißverschneiten Welt.

Strich wie ratlos hin und wieder
mit verstörtem Flügelschlag,
schrie mit einmal hungrig - heiser
in den klirren Flimmertag.

Krähe du in weißer Öde,
heimatloser Flederwisch,
suchst du deine Sommergründe?
Deinen grüngedeckten Tisch?

Einem Scherenschnitt vergleichbar
mir das Bild im Sinne liegt,
wie der schwarze Hunger schreiend
über weiße Fluren fliegt.
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Mühle im Eis

Weit kam ich und einsam gegangen
das weiße Tälchen heran.
Die Schlittenglöcklein erklangen
auf abendlich dämmernder Bahn.

Da seh ich die liebe Mühle,
verschneit unterm tiefen Dach!
Stumm ruht sie in Eiseskühle,
im Eisbann erstarrt ist der Bach.

Die Mühle, die allzeit rege -
kein Rad und kein Mühlglöcklein geht!
Wie ein Erfrorner am Wege
liegt sie, vom Schneewind umweht.

Und Nero in seiner Hütte,
schläft er so fest und tief?
Hörte er nicht meine Schritte?
Nicht, wie ich leise ihm rief?

Ich gehe die Einfahrt hinunter
zum Hause mit zögerndem Fuß.
Da schlägt, o liebliches Wunder,
die Augen es auf zum Gruß!

Sie lebt, meine totstille Mühle,
mich grüßte ihr Lampenlicht!
Am warmen geliebten Ziele
tret ich ein mit frohem Gesicht.
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Schneewittchen Erde

Gläsern ist die Winternacht.
Silberkühl und milde
hält der Himmel seinen Mond
über die Gefilde.

Urweltstumme Einsamkeit
in der weißen Runde.
Lebt ich tausend Jahre schon?
Schlägt mir keine Stunde?

War doch einmal eine Welt
voller Klang und Güte - ?
Roter Mohn, die Lerche sang,
und der Dornbusch blühte!

Hing die Silberampel nicht
über blauem Flieder,
wo das weiße Bänklein stand - ?
Selig weiß ich wieder:

In dem gläsern kühlen Sarg
ruht Schneewittchen Erde,
harret auf den Prinzen Lenz
und des Schöpfers Werde!
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Wehe, ihr Schiffe!

Schlaflos in meinem sicheren Bette
lausche ich ängstlich dem tobenden Sturm.
Schlägt er - ein Riese, gelöst von der Kette -
Schlote von Dächern, die Glocken vom Turm?

Wehe, ihr menschenbeladenen Schiffe,
peitscht euch der rasende Sturm übers Meer!
Möchte in Wut euch werfen an Riffe,
Wogen schütten über euch her!

Vater im Himmel, erbarme dich!
Höre das Flehen der Menschen in Not!
Gib nur ein Zeichen, so legen sich
friedlich die Stürme nach deinem Gebot!

* * * * * *

Nacht vom 17. auf 18. 1.1955
als ein viele Stunden dauernder
Orkan über Europa raste und
schwere Schäden anrichtete.
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Weihnachtsglocken

Es geht ein hehres Klingen
durch das verschneite Land,
wie Sphärenklang und Singen.
Kommt es auf Engelsschwingen
von ferner Welten Strand?

Es klingt im Forst
und dringt zum Horst,
daß Wild und Vogel rasten;
und fängt sich rund
im Tannengrund
in tausend weißen Masten.
Und lockt hervor
und zieht empor
Christrosen aus den Grüften.
Und leiser rauscht
und heimlich lauscht
der Strom den frohen Lüften.

Doch hört auf stillen Pfaden
zur Heiligabendzeit
ein Mensch den Glockenreigen
durch das bereifte Schweigen,
dann wird das Herz ihm weit.
Als sei ein Strahl der Gnaden
in lichtem Glanz erwacht,
als käm auf weißen Wegen
das Christkind ihm entgegen
in heil`ger Weihenacht.
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