Lotte Mühlborn

                                                                                                              

Gott weiß

Es war am Rhein. Die leisen Wogen
wie leidverdeckt im Nebel zogen.
Ein Bogenlicht sah trüb darein.
Da drückt`ich eine Hand zum Scheiden:
Kehr wieder! Mag dich Gott begleiten!
Die Kette fiel. Vom Uferstein
schob sich die Fähre. Gurgelnd bäumten
die Wellen sich, und wieder träumten
sie schwermutvoll in leisem Gang - .
Von drüben scholl des Fährmanns Glocke,
und klirrend fiel am Eisenpflock
die Kette nieder. Rhein entlang
zog just ein Sang von Abschiednehmen
von Lieb und Treu und nimmer grämen
und von Soldatenlos im Feld.
Von weitem hört`ich noch im Gehen:
Gott weiß, wann wir uns wiedersehen,
leicht ist's in einer anderen Welt.
[TOP]

Grabspruch

(eingemeißelt im Torbogen eines deutschen Soldatenfriedhofs in Italien)

--- Drum, Deutscher, nennst du unsre Namen,
tu`s in stolzer Andacht, nicht in Leid.
Die wir nimmer nach der Heimat kamen,
leben in der Heimat Lorbeerrahmen,
eingeschrieben in dem Buch der Zeit.
[TOP]

Hurrah!

Die Feldpost ist da!

In der Panjebude verlaustem Stroh,
da sitzen sie, kreuzweise die Beine,
sitzt einer, mit Augen froh.
Versunken ringsum die feindliche Welt,
die Heimat ist's, die er in Händen hält
beim sinkenden Abendscheine.
"…Unser Wiesenplätzchen wird wieder grün,
der Winter ist endlich gewichen.
Der Kirschbaum im Garten fängt an zu blühn.
Wir haben die Wühlmaus erwischt
und die Laube gestrichen.
Die Kinder sind beide gesund.
Der Bub schlägt nach dir,
der tanzt mal nach eigener Pfeife!
Ich holte ihn gestern - was meinst du wohl -
aus dem Rebenspalier!
Nur fürchtet er Wasser und Seife.
Unser Bärbchen gedeiht,
macht ba-ba, als ob es dich riefe
und greift schon nach deinem Briefe.
Dein Bild lacht es an und sah dich noch nie.
Und wenn es mal schreit,
do denk ich, das machen die Zähnchen. - "
In der Panjebude im russischen Land
sitzt einer, den Blick nach Westen gewandt,
und lächelt gedankenverloren.
Sein Bub, wie sieht er eigentlich aus - ?
Drei Jahre war er, das Mädel noch nicht geboren.
Und nun: Die Kinder gedeihen zuhaus.
Auch ohne ihn! Ohne sein väterlich Müh´n!
Ist das nun zum Freuen, zum Weinen?
ein Liebes, ein Leides?
Fast schien ihm scheinen:
Beides.
[TOP]

Ich hatte einst….

Mir ist, als lebt ich vor Zeiten einmal
in einer besseren Welt.
Da war an den Wassern in klangfrohem Tal
viel Räderwerk friedlich erstellt.
Und fröhliche Menschen regten
die fleißigen Hände und hegten
ein Gärtlein beim Haus, und der Hans
ging am Sonntag mit Grete zum Tanz.
Und will ich es recht bedenken,
schien da ein ewiger Born
die Güter des Lebens zu schenken,
gab Schönheit, gab Honig und Korn.
Ich weiß nicht, war ich im Traume,
als ich am Lindenbaume
beim Born in die Rinde geschnitten fand:
Ich hatte einst ein schönes Vaterland.
Es war wohl alles ein Traum,
Born, Frohsein und Baum.

1944
[TOP]

Ihr Letzter

Nun trägt auch er des Kaisers Rock,
der letzte meiner Buben,
und grad so stolz als wie die Zwei
die sie bei Lens * begruben.

Und grad so hoffend singt auch er
von Sieg und Wiederkommen.
Und wie er ging, da küsst` er mich,
hat mich in den Arm genommen.

Er sagt`, er käm gewiß zurück
und reckt`die jungen Glieder.
Ich aber Weiß, o Gott, ich weiß,
auch er kommt nimmer wieder!

( * Stadt in Nordfrankreich, Schlacht im 1. Weltkrieg Arras)
[TOP]

Im Kriegsbrand

Wie ist die Welt von Leide schwer!
Las ich das Wort? Sprachs irgendwer?
Ruft es der Wind und raunts die Flut?
Pocht mir das bange Wort im Blut?

Es quält mich, drückt die Seele wund,
und schläfts einmal, weckt es zur Stund
im Nachbarhaus ein lautes Weinen,
ein Krüppel mit zerschoßnen Beinen.

In einem Brief so wehe Klage,
ein Zeitungsblatt: Bericht vom Tage.
Dann hebt es sich wie Sturm im Meer:
Wie ist die Welt von Leide schwer!
[TOP]

Im Rußlandwinter 1941 /42

Am Tage zu jedweder Stunde,
mein Nachtgebet:
Wer sagt mir, wer bringt mir Kunde,
wies meinem Jungen ergeht!
In Rußlands eisigem Grauen
da geht sein Schritt,
und meine herzbange Sorge
die wandert mit.

In schlaflosem Jammer,
die Augen zerwacht,
blick ich ins Dunkel der Kammer,
frag ich die weltweite Nacht
und die flimmernden Sterne.
Aber kalt und stumm
stehen die Wände um mich herum,
schweigt die unendliche Ferne.

So geb ich in deine schützende Hand,
Herr über Leben und Tod,
meinen Jungen im fernen eisigen Land;
er folge der Pflicht und deinem Gebot.
Und allen, die mit ihm halten die Wacht,
sei gnädig! Dem vielen, dem jungwarmen Blut!
Die du einstmalen ins Leben gebracht,
nimm sie in deine erbarmende Hut!

Herr über Leben und Tod,
erlöse uns alle aus bitterer Not!
[TOP]

In Rußland gefangen

Im Altenstübchen die müde Frau,
ein Knabenbild hält sie in Händen:
Da warst du noch mein und der Himmel noch blau.
Gott schütze dich aller Enden!
Sie kann nicht leben, nicht sterben gehen,
sie muß ihren Jungen noch einmal sehen!
Der ist in Rußland gefangen.

Es schlafen die Kinder. Beim Lampenschein
das junge Weib näht am Flicken.
Ihr Sehnen geht wandern. Allein - allein -
hört sie den Herzschlag ticken.
Sie flüstert: Dein Kind geht zur Schule, wenn’s lenzt,
dein goldhaarig Bübchen, das du nicht kennst!
Und du bist in Rußland gefangen!

Am Sandhaufen hört man im eifrigen Spiel:
Mein Vater, der läßt mich als reiten!
Und meiner, oh, der weiß Märchen viel
und macht mir Pfeifen aus Weiden!
Hast du keinen Vater, Hans Hagen?
Einen Vater? Ich weiß nicht, sie sagen,
der Ruß, der hätt ihn gefangen.

Sie alle warten und rufen nach dir,
Gefangner in Rußlands Gewalt,
und flehen: wann trittst du in unsere Tür,
Gott laß es doch bald sein, bald!
[TOP]

Klage des Mädchens

Meine Leier hat ein Wetter troffen,
daß sie nimmer nimmer klingen will.
In die Saiten hat der Tod gegriffen,
daß die eine, die von Glück und Hoffen,
die von sel`ger Wiederkehr mir sang,
daß die eine Saite jäh zersprang.
Aus den andern bebt und klagt es leise,
schluchzt ein Ton die immer gleiche Weise:
Tot - und tot - nie wieder - tot - !
Meine Leier hat ein Wetter troffen,
daß sie nimmer klingen will.
[TOP]

Letzter Urlaubstag

Es gingen im Saale die Geigen,
ein wogender silberner See.
Von seliger Liebe riefen
die Stimmen aus seinen Tiefen,
von Scheiden und weinendem Weh.
Zwei junge Menschen saßen
mir still zur Seiten.
Ich hörte auf goldenen Straßen
die Liebe schreiten,
herüber, hinüber.
Wie lockten die Geigen,
die süßen, die weichen!
Morgen - . Wer nannte die Stunde?
Da klagten die Geigen,
die dunkeln, die weichen.
Von Scheiden trugen sie Kunde.
Da hörte ich schreiten
das Weh der beiden. -
Wie klagten die dunklen Geigen,
die wehmutsüßen, die weichen!
[TOP] v

Mädchen im Weltkrieg

Von der Sanduhr meiner Tage
rieselt Korn um Korn hinab
und in grauen Schleiern schreitet
meine Jugend still davon.
Einstmals ging in Rosenbändern
goldbeschuht ein Mädchenlenz
und Girlanden froher Lieder
kränzten ihn. Ach, meine Jugend
trägt der Tränen Perlenkette!
Spiel und Tanz, die Frohgeschwister,
blieben trauernd weit dahinter.
Mit den Händen möchte ich halten
jede rinnende Minute!
In sein Stundenglas zurück
jeden meiner Tage legen:
Bleibt, ich hab euch nicht gelebt!
Aber grau und unaufhaltsam
rinnen Stunden, rinnen Monde,
rinnen mir die Jugendjahre
in die stumme Ewigkeit.
[TOP]

Meine Muse klagte

Meine trauliche Muse klagte:
Was tat ich dir?
Du schaust so fremd und beharrlich
vorbei an mir.

Sprich leise, du Königskind, raunt`ich,
siehst du nicht dort
das Weib im härenen Kleide?
Das weist dich fort.

Das sitzt nun in meiner Stube-
- es nennt sich Notund
sinnt mir sorgen und Mühen,
schmälert mein Brot.

Dem Weibe muß ich gehorchen
in heißer Fron.
So schlafe, du Holde, und geh nicht
auf immer davon!

Auch die Not muß zuweilen ja schlafen
und ruhen vom Lauf;
dann komm ich zu heimlicher Stunde
und wecke dich auf.

Dann wollen wir träumen und sagen
von goldener Zeit
und wollen vergessen des Weibes
im härenen Kleid.
[TOP]

Morgen - ?

Weißt, Menschenherz du, welche Rose
dir morgen blüht?
Eine lichte, duftige, dornenlose?

Ob eine feuerrote dir glüht?
Ob dich beim Tagwerk ein Heckenröschen beglückt?

Im Ruhmestraum
dich eine stolze Teerose schmückt?
Wächst eine weiße dir am Trauerbaum?
[TOP]

Muspilli

Die Weltesche bebt!
Ein nie erhörtes Stürmen
umbrandet ihre Krone! Brüllend türmen
sich Wolkenberge. Blitze lohen,
ein schaurig Heer, der Hölle wohl entflohen!
Die Weltesche bebt!
Die Äste ächzen,
die Zweige neigen
erschauernd sich - Höllentraum!
Die Vöglein schweigen
angstvoll im Baum.
Von Blättern und Zweigen
taut Blut!
Ihr Parzen, gebt Acht!
Hütet Spule und Faden!
Wehe, geschehen!
Den fernsten Geschlechtern
wird noch der blutige Einschlag verraten,
was wir gesehen! -
Rot rieselt ein Rinnsal hinab in die Flut,
weckt die Midgardschlange, die schlafend geruht.
Die lange von Blut und Mord schon geträumt.
Sie hebt sich, sie bäumt
den schuppigen Leib!
Die Meere erzittern,
die Schiffe splittern.
Trächtig von Weh
durchfurcht das Unheil die See
und rastet nicht.
Herr der Welten, hältst du Gericht?

1916
[TOP]

Nachruf

an einen im Krieg gebliebenen Nachbarssohn

Still ruhst du nun in fremder Erde,
du, deiner Eltern Glück und Schmerz!
Sie denken dein am Heimatherde!
Sie denken dein, wenn niederwärts
die Sonne geht und wenn sie leuchtend
im Morgenrot aufs Grab dir scheint.
Tautropfen, deinen Hügel feuchtend,
sind Tränen, nächtens dir geweint.
Ach, ihre Liebe sucht dich immer
und weint am unbekannten Grab:
Schlaf ruhig unterm Sternenschimmer,
Gott nahm zurück, was er uns gab.
[TOP]

Nachruf an einen gefallenen Sohn

(A.H.Altrip)

Schlaf wohl in fremder kühler Erde,
du unser Stolz und unser Schmerz!
Wir denken dein am Heimatherde.
Wir denken dein, wenn niederwärts
die Sonne geht und wenn sie leuchtend
im Morgenrot aufs Grab dir scheint.
Tautropfen, deinen Hügel feuchtend,
sind Tränen, nächstens dir geweint.
Wir sind bei dir mit unsrer Liebe,
sie irret sehnend um dein Grab
und flüstert: Lieber lieber Junge!
leis in den stillen Grund hinab.
[TOP]

Nächtlicher Spuk

Vor meinem Fenster im Grunde
zu schwarz verhängter Stunde
ein Reiter jagt vorbei.
Aufheult an seinem Pflocke
des Nachbars Hund, als locke
ihn Höll und Zauberei.

Aus wirren Traum gerissen
faßt in die warmen Kissen
erschrocken meine Hand.
Mir schien die Nacht zu rufen:
so reitet auf fliegenden Hufen
der Tod durchs Land;

1916
[TOP]

Nächtliches Grauen

Es hebt die Sirene zu heulen an:
Heraus, ihr Schläfer, erwacht, erwacht!
Der Tod in den Lüften fährt brausend heran,
und hat er euch gestern kein Leid getan,
wer weiß, leicht tut ers die Nacht!

Die angstvoll heulende Stimme schweigt.
Das Leben duckt sich und lauscht,
wie der Tod in den Lüften die Fiedel streicht.
Gilt es mir? Dem Nachbar? Und beiden vielleicht?
Sein Fittich über uns rauscht.

Er wirft seine Karten als Leuchtschirme ab,
- der Tod will sein Ziel doch besehn -
und starrt aus hohlen Augen herab.
Gottvater, wende das Unheil ab!
Heiße den Tod uns vorüber gehen!

Da hebt die nächtliche Stimme an:
Hervor aus Kellern und Schacht,
ihr Menschen! Vorüber der grausige Wahn!
Im Nachbarhofe kündet der Hahn
mit sieghaftem Krähen den Morgen an,
und friedlich ruht wieder die Nacht.

1944
[TOP]

Neunzehnhundertachtzehn

Welt, von Haß und Jammer schwer,
Herzen, müd und freudeleer,
Leid auf allen Wegen.
Jahre kommen, leidverhüllt,
Jahre gehen, schmerzgefüllt.
Herr, wo bleibt dein Segen!
[TOP]

Neunzehnhundertvierundvierzig

Welt, von Haß und Jammer schwer
Herzen, müd und freudeleer,
Leid auf allen Wegen.
Jahre kamen, leidverhüllt,
Jahre gingen, schmerzgefüllt,
Herr, wo bleibt dein Segen!
[TOP]

Noch gestern ein Junge

Wars gestern? Da kam in die Küche
der Junge, sorglos und keck:
Tag Mutter! Och, hab ich`n Hunger!
Ich glaub, mein Magen ist leck.

Und heute? In einem Winkel
der Bücherriemen träumt
von fröhlich bewegten Zeiten,
da Knabenjugend geschäumt.

Die bunte Mütze am Nagel
schaut einsam und heimwehkrank.
Im Spannräumchen wartet vergessen
der Falter im Käferschrank.

Ein Junge noch gestern. Und heute -
mein Gott, wie ging es nur zu -
ein Mann in den Heeren des Kaisers!
Herz, halt Ruh!

Und käm wie im Märchen der Herrgott
und gäbe drei Wünsche uns frei,
ich glaube, mein Sohn, ich glaube,
du wärest dennoch dabei!

Wie könntest du seitwärts stehen
in tatlos gesicherter Hut!
Junge, das wär eine Schande,
für die wir beide zu gut.

Mai 1918
[TOP]

Rief mir wer - ?

Stumm und gläsern ruht die Winternacht.
Nur im Hause regt sich’s heute sacht,
pocht es leise einmal da und dort.
Ging verhehlt ein Fuß nicht eben fort - ?

Eine Stufe knarrt. Und ging da nicht
eine Tür? Im bleichen Mondeslicht
kann ich hell die Kupferampel sehn,
drin die zarten Glockenzweige stehn.

Da, wie angerührt von Geisterhand
fällt ein dürrer Kelch aus dem Verband!
Knackt es im Gebälk? Wars auf dem Gang?
Rief mir wer - ? Hilf Gott, mein Herz ist bang!

Wer ging draußen, wer durch meinen Raum?
Wessen Stimme hört ich wie im Traum?
Wars ein Abschied an geliebtem Ort - ?
Seele, Seele, dein Erkennungswort!
[TOP]

„Rufe mich an in der Not. . . . „

Allerbarmer du in Himmelshöhen,
der das Weltall trägt in weiser Hand,
sieh dein Erdenvolk in Trauer gehen!
All die Boten, die wir abgesandt,
dass sie flehn zu deines Thrones Stufen,
unsrer Tränen unermesslich Heer,
die Gebete ohne Zahl, sie rufen
dich umsonst. O Herr, die Not ist schwer!
Der uns hieß, ihn anzurufen in der Not,
daß er uns errette, ihn zu preisen,
Herr, wo bist du? Sieh, vom Blute rot
ist die Erde, und wo frohe Weisen
mit dem Winde durch den Frühling gingen,
klagen Totenlieder, weint das Leid.
Und du schweigest? Unsres Glaubens Schwingen,
die uns trugen über Raum und Zeit,
sie erlahmen, Herr! O woll` es wenden!
Wolle deine Vaterhand uns bieten,
uns den besten deiner Engel senden,
sende uns den Frieden, Herr, den Frieden!

(Sommer 1918)
[TOP]

Schwur des Saarlandes

Vernimm, Germania, vernimm aufs neue
den ungebrochnen, heilgen Schwur der Treue.
Wir schwören, ob auch Joch und Ketten drücken,
zu lassen nicht von dir, uns nicht bücken
vor fremder Willkür, feig verzagten Mutes.
Es pocht in jedem Tropfen unseres Blutes
die Liebe, die zu dir sich froh bekennt
uns allerwege deinen Namen nennt.
Die Not um dich, wir trugen sie nicht minder
als deine andern, heimgebliebenen Kinder.
Wir wollen unser Heimweh nicht in Rinden schneiden -
am Schmiedefeuer deutscher Zukunftszeiten
ist unser Platz! Hier woll`n wir hämmernd stehen!
Wir woll`n den Weg der teuern Heimat gehen!
Ob er auch steinig sei, es schiert und nicht,
er führt zur Freiheit ja, er führt zum Licht!
Wir schwören dir Germania, aufs neue
und ewiglich den heil`gen Schwur der Treue!
[TOP]

Sein Tagebuch

Was haben die Glocken so ernsten Klang?
Deine Seele geht einen Friedhofgang.
Der Dreiklang im Abendlichte, er gilt
dem toten Freunde in Flanderns Gefild.
Ihm ruft der Glocken eherner Mund
den Scheidegruß nach zum Schlafe im Grund.
Sein Tagebuch! Das ist die Stunde dafür!
Ein Sargdeckel dünkt mich der Streifen Papier.
Mit bebenden Händen lös ich ihn sacht. -
Vom Turme ruft mahnend die Mitternacht,
da weiß ich: Der mir die Blätter geschenkt
und den ein weiser Wille gelenkt
zum Landes des Friedens, ein Friedloser war,
ein Suchender, Einsamer, Jahre um Jahr. -
Noch einmal streift mein dunkelnder Blick
die letzten Zeilen: " Und kehr ich zurück
wie schön soll es werden im häuslichen Kreis!
Doch winkt mir im Kampf das Zypressenreis
und nicht mir der Tod auf dem Schlachtfeld beschert,
so hatte mein Leben Inhalt und Wert."
In Andacht, wie einen Toten zur Ruhe
senk ich das Buch zutiefst in die Truhe.
Und still in die nächtliche Ferne geht
wie stummes Grüßen ein heimlich Gebet.
[TOP]

Siegesjubel

(Schlacht bei Tannenberg) Mutter, wie kann ich am Herde stehen
wenn draußen die Siegbanner winken und wehen!
Wenn die Lüfte vom Glockenjubel erklingen
und jauchzendes Rufen und Sagen und Singen
über Gassen und Plätze schwingen!

Mutter, mir quellen im Halse die Lieder!
Mitsingen muß ich, dorfauf und - nieder,
wo mich die klingenden Winde umwehen,
wo die jauchzenden Fahnen sich drehen
und alle Menschen in Freude gehen!

Mutter, wie kann ich das Dach ertragen!
Meinem Jubel wird es die Krone zerschlagen!
Ihn werden die starren Wände erdrücken!
Ich muß in die Wälder, muß Eichenlaub pflücken,
das Bild des herrlichsten Feldherrn zu schmücken!
[TOP]

Stilles Grüßen

Einst warst du in unserer Mitte
im weihnachtsgeschmückten Raum.
Wir sangen gemeinsam die Lieder
und sah`n in den Lichterbaum.

Heut sahen wir beide, mein Junge,
in den Sternenbaum droben zumal,
ich hier auf dunklem Balkone,
du überm fernen Ural.

Und auf dem goldenen Brücklein
hoch droben begegnen sich sacht
und grüßen sich unserer Seelen
in der stillen, der heiligen Nacht.

1946
[TOP]

Stunde, da die Welt gebrannt und der Lenz in Rosen stand.

Sang und Rosendüfte schwimmen
durch die Stunde - Glücks genug.
Saitenspiel und junge Stimmen
am Klavier. Im roten Krug
gelbe Rosen.

Wie sie kosend mich umschmeicheln,
Klang und Duft und rotes Licht!
Weich, wie Kinderhände streicheln
ein betautes Angesicht.
Können doch das Leid nicht bannen.
Klagt im weichen Strich der Geige
nicht die tiefe Not der Zeit?
Und im Kindersang das bleiche
Abschiedsweh? Vom Kruge breit
rinnts wie Blut.

Leise falten sich die Hände:
Der uns zu vergessen scheint,
Gott im Himmel, mach`ein Ende!
Deine halbe Erde weint.

******************

Wie die dunkle Geige klagt!
[TOP]

Traumfalter

(Meinem lieben Jüngsten in russischer Gefangenschaft) Der Abend sank. Des Tages Heimwehstund umdämmert mich.
Die blauen Schatten steigen aus dem Grunde,
und Glöcklein klingen friedlich in der Runde.
Ein Falter müht am offnen Fenster sich
und kann den Weg ins Freie doch nicht finden,
in seine Heimat, in die stille Nacht.
Grauflüglein, wenn des Tages Lichter schwinden,
dein Seelchen erst zu seinem Licht erwacht!
In hohler Hand fühl ich dein Schwingenschlagen
wie meines Blutes Puls. Da, fliege hin!
Wie schnell ihn doch die zarten Flügel tragen!
Und sieh, nach Osten will er eilig ziehn!
Dorthin, wo meine Seele suchen geht,
wenn sie des Tages Gitterwerk entrann;
wo groß die eine bange Frage steht -
Traumvöglein, graues, schlugst du mich in Bann?
Mir ist, als hab ein Wunder sich vollbracht,
als sah ich suchend meine Seele fliegen
weit in die Nacht.
[TOP]

Unbezahlte Schuld

Begegnet mir ein grauer Feldsoldat
ich frage stumm: kommst du aus Feindesland?
Und Grüße ihn und drücke ihm die Hand.

Begegnet mir ein grauer Feldsoldat
ich drücke ihm ja nicht die Hand!
Ich sehe ihn flüchtig an und bin vorbei
und eine Dankesschuld hat leis gebrannt.

2. Fassung:

Begegnet mir wo irgendein Soldat -
ich frage stumm: Kommst du aus Feindesland?
Und grüße ihn aus dankerfülltem Herzen
und drücke ihm die Hand.

Begegnet mir ein Mann im grauen Rock -
ich drücke ihm ja nicht die Hand!
Ich seh ihn flüchtig an und bin vorbei,
und - eine Dankesschuld hat leis gebrannt.
[TOP]

Volk in Not

Zerbrochen und zerschlagen
ein Volk im Abgrund liegt.
Wer kann die Not erfragen,
wer all das Schwere sagen,
das leidvoll uns die Stirn zu Boden biegt!

Ein Abglanz ferner Tage
voll Sonne und voll Glück
steht - eine stumme Frage
aus halbvergeßner Sage -
vor unserm nachtverhängten irren Blick.

So höre unser Rufen,
mein Gott, aus tiefer Not!
Das deine Hände schufen,
ein Volk zu deinen Stufen,
fleht dich um Rettung an aus Not und Tod!

1945
[TOP]

Vor Gottes Richterstuhl

(Ungezählten armen Seelen gewidmet)

Du fragst um dein Erbe im Himmel an,
du arme Seele, so trete heran,
ich will, der Gerechte, prüfen und wägen,
ob Verdammnis dein ewig Teil oder Segen.
Mir, dem Allwissenden hehle nicht,
wie du gewallet im irdischen Licht.
Ich gab die dein Leben zu Lehen, sag an:
Was hast du mit deinem Leben getan?

Ich warf es von mir, es taugte nicht mehr!
War auch an Güte und Liebe so leer.
Ich war so allein in der großen Not,
so nahm ich, da keiner die Hand mir bot,
mein eigen Gutsein zurück ins Herz.
Da lags nun, als wär es ein Stückchen Erz.
Wie oft ich gefehlt im Leben, so schwer
wie diese, war keine Sünde mehr.
Ich war nun wie sie, ohne Lieb und Geduld.
Vergib mir, Ewiger meine Schuld!

Dein Gaube, wo blieb er, der Berge versetzt?

Gottvater, sie hatten mich müde gehetzt,
da fiel mein Glaube mir aus der Hand
und ging verloren im Wüstensand.
Und wie ich auch suchte mit ernstem Bedacht,
ich fand ihn nimmer im Schatten der Nacht.

Und die Hoffnung, die ich dir legte im Leid?
Die Hoffnung? Die starb am Grauen der Zeit!
Lag unter Trümmern so still und tief
und hörte nicht, wie ich weinte und rief.
Da geschah es, ich gab mich verloren im Leid
und trank mir den Tod an der bitteren Zeit.

Du hast, o Seele, gekämpft und getragen,
ans Kreuz der Schmerzen warst du geschlagen.
Du bist geirrt in dunkler Nacht,
und keiner hat dir ein Lichtlein gebracht.
So will ich halten ein mildes Gericht:
Ich, der Barmherzige zürne dir nicht.
Ich will dir vergeben. So höre den Spruch,
mit dem ich beschließe dein Lebensbuch:
Die Seele geht in den Himmel ein,
ihr Fehl, gemessen am Leide, war klein.

(264)
[TOP]

Weihnachtsabend im Krieg

( Feindliche Einquartierung) Christabends ist's. Die Kerzenstümpflein brennen,
die übrig noch vom letzten Fest.
Zwei Fremde - kaum, daß wir die Namen kennen,
der Krieg hat sie dahergeweht aus West -
zwei braune Fremde statt des Einen, Trauten
sehn mit uns in den Baum und hören still
das " Heilige Nacht ", wie es in weichen Lauten
den Raum durchzieht. Ein sterbend Lichtlein will
aufzuckend sich des frühen Todes wehren.
Ich denke eines Kriegers, froh und jung,
der schläfst so tief im grauen Kleid der Ehren.
Die Kerzen knistern. Tiefer wird die Dämmerung.
Um Dach und Giebel ruhlos rinnt der Regen.
Verstört ins Fenster blickt im schwarzen Kleid
die heil`ge Nacht.
Sie trägt im Mantel ja statt Glück und Segen
das weltenweite ungeheure Leid.
Hellauf im Schirme wieder flammt die Birne,
doch düstrer starrt die Nacht herein ins Licht,
lehnt an die Scheiben fester nur die Stirne,
und Tränen rieseln ihr vom Angesicht.
Wie doch mit eins die welschen Laute schmerzen!
Ihr roten Feze, weg, zur Stunde noch!
Ihr paßt ja nicht zu deutschen Weihnachtskerzen!
- Kind, schließ mir den vergeßnen Laden doch. -
Im Kreise liegt mit einemal ein Schweigen.
Flog wohl das Christkind leise durch den Raum?
Ich seh im Aug des Knaben dort, des bleichen,
ein Heimweh stehn. Sieht er ein Haus im Traum - ?
ein niedrig Haus vielleicht im Palmenschatten,
im Bambusdache raschelt leis ein Wind;
stumm hockt ein Weib davor auf Kokosmatten
und denkt in Bangen an ihr fernes Kind.
Der andere - nachtschwarze Augen starren
schon lang ins Leere. Um den bärt`gen Mund
ein weicher Zug, wie heimlich frohes Harren.
Denkt er an Kinderbäckchen, braun und rund?
Erbarmend siegt die heil`ge Liebe wieder
die leis und warm das Weltenall durchrinnt.
Die Zwei am Tisch, es sind ja Menschen - Brüder.
Weiß nicht, was ihre Seele sehnt und sinnt.
O Geist der Liebe, gieße deine Schale
doch in die wunde Welt und heile du,
was Haß zerbrach! Aus deinem Wundergrale
flieg uns des Friedens goldne Taube zu.
[TOP]

Wir leben!

Eine Wetterwolke sah ich kommen,
hing so schwarz und schwer am Himmelsrand!
Und die Wolke sah ich niedersinken,
sah darinnen alles Licht ertrinken!
Grabesdeckel ward sie meinem Vaterland!

Hat Gottvater denn in Schöpferlaune
seine Erde einmal umgestellt?
Warum ließ er uns aus seinen Händen
achtlos fallen, ohne sich zu wenden,
wie ein Sandkorn aus der Hand des Formers fällt?

Antwort kommt mir aus dem Weltenraume:
Ewig ist und ewig wandelbar
alles Leben! Aus den Wintergrüften
immer neu mit Klang und Glanz und Düften
steigt die Wunderflut des Lebens Jahr um Jahr.

1945
[TOP]

Zeit, fliege!

Zeit fliege!
Geh nicht den schleppenden bleiernen Gang!
Zwei Monde nur, Monde, so schwer und bang,
die überfliege!
Gilts doch, ein Volk, mein Volk, zu retten
aus des Hungers drückenden Ketten,
daß nicht Verzweifelung siege.
Zeit, fliege, fliege!

(Juni 1917)
[TOP]

Zur Befreiungsfeier

Nun künden alle Glocken
im Land am deutschen Rhein:
Vorbei die Zeit der Knechtschaft!
Der stillen Schmach und Pein!
Von allen Höhen loderts
in rotem Feuerbrand.
Wie Morgenröte flammt es
weithin ins deutsche Land.
In Glockenton und Flammen
mischt sich der Jubelchor:
Gott führte aus der Knechtschaft
uns gnädiglich hervor.
Frei ist der Rhein, der deutsche!
In seinen Fluten tränkt
kein Franzmann mehr die Rosse.
Und auch kein Banner hängt
in schmerzlich fremden Farben
an seiner Brücken Tor.
Nicht welschem Laut gehorchen
muß mehr das deutsche Ohr.
Ihr Brüder überm Rheine,
wir reichen euch die Hand
und brausend soll es schallen:
Heil unserm Vaterland!
[TOP]