Lotte Mühlborn

                                                                                                              

Gleichnis

Ein Finklein hüpft im Blütenbaum
und schmettert froh sein kleines Lied.
Zunachten sucht es seinen Raum,
ist nur ein Husch, ein Schattentraum,
der durch das Dämmerdunkel zieht.

Ach Vöglein du im Schlummerzelt,
es geht mir so durch meinen Sinn,
daß ich, wie du, im Raum der Welt,
zutiefst nur auf mich selbst gestellt,
ein Schattentraum auf Erden bin.

Mein Finklein, sind wir nicht auch Klang,
und wär es nur für unser Ohr?
Denn was uns in der Seele sang,
in Trauer oder Überschwang,
das wird zum Lied und strömt hervor.
[TOP Seite 2]

Holder Leichtsinn

Sag, Schmetterling du bunter,
der jede Blume küßt,
sag mir du lieblich Wunder,
wo deine Heimat ist.

Meine Heimat ist die Wiese,
meine Wiege ist der Wind.
Und aller Blumen Süße
als Lebensquell mir rinnt.

Wer schuf, dem Aug` zur Wonne
dich, holdes Gaukelspiel?
Meine Mutter ist Frau Sonne,
hat ihrer Kinder viel.

Dein Vater, zartes Wichtlein?
Den Frühling nennt er sich:
Kennt manches Lenzgedichtlein
und lehrte tanzen mich.

Halt, Blumendieblein, sage
wohin die frohe Fahrt?
Ich reise mit dem Tage,
frag weder Ziel noch Art.

Da spielt, ein Farbenklingen,
das Flatterwischlein hin!
Wie trügen solche Schwingen
auch ernsthaft- schweren Sinn!
[TOP Seite 2]

Im blühenden Tal

Es jubelt in Chören
das Leben im Lenze:
Lobt Gott, den allmächtigen Herrn!
In süßem Betören
ahnts nicht die Sense,
das Welken, ach, weilt ja so fern!

Der Dorn will sich kränzen,
und Schwalben durchpfeilen
in Jubel den weitgrünen Saal.
- Was schreibt ihr, o Sensen
die lieblosen Zeilen
in unser blühendes Tal?
[TOP Seite 2]

Kätzchen am Baum

Kätzchen am Baum,
silberne Bällchen
in seidenem Fellchen -
Vorfrühlingstraum!

Warf euch der Winter
über die Grenze,
daß ihr dem Lenze
Herold und Künder?

Tragt ja verborgen
Goldstaub in seidnen
Hemdchen, dem weidnen.
Streut ihr in morgen?
[TOP Seite 2]

Lenzerlebnis

Es war ein lichter Maientag.
Von Vogelstimmen klang der Hag,
ein Jubel ohnegleichen!
Aus hundert Vogelkehlen quolls,
der Grünspecht hämmerte im Holz,
kein Grillchen wollte schweigen.

Am Weg ein wilder Rosenstrauch
gab seinen Duft als Weiherauch
in all das frohe Klingen.
Und in den Wipfeln scherzte leis
der Morgenwind mit Blatt und Reis.
Eichkätzchen spielten " Schwingen".

Vom Rosenstrauche wollt ich mir
als wunderholdes Lenzpanier
das schönste Knösplein brechen.
Das wehrte ängstlich mir der Dorn
und wollte gar im hellen Zorn
mit Lanzen nach mir stechen!

Ei, denke ich, du Rauhgesell!
Da seh ich ein Fläumchen hell,
und da - ein Vogelnestchen!
Vier Nackedei! Das Flöckchen kleines
war ein Vogelwindelein,
gehängt aufs nahe Ästchen!

Ich stand beglückt. Nun wußt` ich auch
warum der wilde Rosenstrauch
mir gar so eifrig wehrte:
Ein Glück zu hüten hatte er!
Die Vogelmama schimpfte sehr,
daß ich die Ruhe störte!

Der Vogelpapa mit Geschrei
rief nach der Waldenpolizei.
Man wäre überfallen,
ein Mensch sei da! Ich schlich davon
als wie ertappt. Da ließ auch schon
der Specht die Trommel schallen.

Die Finken fielen zeternd ein,
den Guzgauch hört ich: " Guck guck" schrei`n,
den Markwart:" Hä, was Sachen!"
Es lärmte, was da kreucht und fleucht.
Ich kam mir vor wie heimgegeigt.
und mußte heimlich lachen.
[TOP Seite 2]

Lerchenjubel

Sag, was trägst du deine Strophenlieder,
Lerchlein, bis hinauf zum Himmelsrand?
Fällst dann wie ein Stein zur Erde nieder,
aus des Schöpfers in des Schöpfers Hand.

Ach, juble dankbar meine Weisen,
die ein Ew`ger mir ins Blut gelegt!
Über Berg und Täler will ich preisen
der den Erdball und das Nestchen hegt!
[TOP Seite 2]

Märzenschnee

Die Vöglein sind erschrocken:
"Wie kam das über Nacht?
Mein Gott, wir hatten gestern
ans Bauen noch gedacht!"

Im Flockenwirbel hoppelt
ein Hase auf und ab:
"O weh, der weiße Jammer!
Nun wird das Futter knapp!"

Junghäschen ducken frierend
ins Lager sich am Saß:
"O Mutter, o, das Weiße
macht unser Fellchen naß!"

Am Heckenrain Blauveilchen
sehn klagend in die Höh:
"Es schneit mir in die Augen!"
" Mir tun die Füßchen weh!"

Im Krähenneste oben
Eichkätzchen mürrisch liegt:
"Was unbedachte Possen!
Wo`s schon nach Knospen riecht!"
[TOP Seite 2]

O hüte dein Glück!

Wir hatten gar kunstvoll die Mühle gebaut
im Bächlein am rauschenden Wehr.
Da rissen die eilenden Wellen sie fort
im Laufe zum ewigen Meer.

Wir lärmten mit haschenden Händen ihr nach
und standen und schauten betrübt.
Zog drüben die Straße ein Bursche vorbei,
im Wandern und Singen geübt.

„ O hüte dein Glück dir im Strudel der Zeit“
riefs Echo herüber vom Hang.
„Veranker es sicher, sonst blüht dir ein Leid“.
Das ganze Tälchen erklang

Ob still sich ein Klang in die Seele mir stahl
und fing sich und kann nicht zurück?
Ich höre zuweilen das klingende Tal
noch rufen: O hüte dein Glück!
[TOP Seite 2]

Poesie und Prosa

Ein Finklein jubiliert im Blütenbaum:
Wie schön, wie schön ist doch die Maienwelt!
Sein Finkenlieb hat sich hinzu gesellt
und jubelt mit, und piept dann wie im Traume
von einem Nestchen und von weichem Flaume.
Ein Mensch bleibt stehn und blickt ins Blütenzelt:
Wenn's gut geht, bringt er heuer wieder Geld.
Ein braver Baum, die frühe Eierpflaume!
[TOP Seite 2]

Schwalbenheimkehr

Schwalber und sein Schwälbchen kamen
aus dem Nilgrund ferne her.
Flogen in das Schöpfers Namen
übers weltenweite Meer.

In der Düne weißem Sande
ruhen sie mit vielen aus.
Wollen nun im Heimatlande
suchen das vertraute Haus.

Ob ihr Nest am Bogentore,
wo im Bach das Mühlrad geht
und die Dommel rief im Rohre,
ob das liebe Nest noch steht?

Schon zur nächsten Mittagswende
fliegen sie im Heimatgrund.
Schwalbenjubel ohne Ende
tut dem Tal ihr Kommen kund.

Und das Mühlendach am Deiche
selig grüßen sie von fern;
rufen über Tal und Steige
ihren Schwalbendank dem Herrn.

Sitzen auf dem Draht nun wieder
eng gesellt im Abendhauch.
Wispern sie sich Wiegenlieder?
Oder beten Schwalben auch - ?
[TOP Seite 2]

Schwälblein am Dach

Ich liege und lausche versonnen
der Schwalbenfreude am Dach.
Du Schwälblein, aus welchem Bronnen
strömt dir die Fülle der Wonnen,
quillt dir der Jubel so jach?

Und sieh, zwischen Träumen und Wachen
rinnt leise und süß mir ein Sang.
Wie silbernes Schelmenlachen
auf neckisch wippendem Nachen
schwimmt es die stillen Räume entlang:

„Warum ich juble und singe,
früh und zu dämmernder Nacht?
Ich danke dem Schöpfer der Dinge,
daß er mich fröhliche Schwinge
nicht zum Menschen gemacht.“
[TOP Seite 2]

Schwellende Lenznacht

Schwellende Lenznacht, ruhlos verträumte.
Gärende Wolken, mondstrahlgesäumte.
Wetterndes Leuchten. Windselig treiben
jagende Tropfen an meine Scheiben.

Frühling, ich weis es, deine Fanale
sinds, die vom Bergrand flammen zutale!
Dein Finger pochte geisternd am Fenster!
Seid mir gegrüßed, Lenznacht- Gespenster!
[TOP Seite 2]

Silberne Birke

Ein baumgewordener Silberklang
bist du, mein Birklein, der sacht
einem Frohgedanken des Schöpfers entsprang,
als der Frühling den grünen Taktstock schwang
in schwellender Maiennacht.

In fremder Schönheit, verschleiert und rein
stehst du im irdischen Sand.
Und auch dein Flüstern, geheimnisfein,
- ob es der Odem Gottes mag sein? –
hat keiner gedeutet im Land.

Birke, du zarte, allhier im Raum
stößt man sich enge, gib acht!
Die Menschen wissen nur um den Baum
und nicht um den silberklingenden Traum
in der schwellenden Maiennacht.
[TOP Seite 2]

Sturmtod im Lenz

Der Sturmwind stob ins weite Land:
„Mir aus dem Weg, was faul!“
Kopfhängend still am Wege stand
ein müder Ackergaul.

„Hoi , Brauner , packt dich nicht die Lust,
zu jagen mit dem Wind
durch Hain und Hag, durch Blüt` und Blust,
wo Gräslein sprießt und Bächlein rinnt?“

Er steht und schweigt und schüttelt gar.
Weiß, was er sagen will:
„Mich hämmerte so Jahr für Jahr
das Leben stumpf und still.

Weiß nichts von Sturm und Frühlingsdrang,
nur Ruhe sinnt mein Herz.“
O Rößlein , Jugendüberschwang
weiß nichts von müdem Schmerz.

Drum, brach der Sturm auch unbesehn
manch jungen Stamm, so schlank,
manch lieben Freund mir, jung und kühn,
will nicht mehr traurig sein um ihn.
Müd Rößlein, habe Dank!
[TOP Seite 2]

Tanze, kleines Mädchen!

Tanze nur, du kleines Mädchen,
froh auf maiengrünem Plan!
Büblein, treib dein Reifenrädchen
munter seine flinke Bahn!

Wenn die Winterraben schreien
und der Schnee ins Haar euch weht,
geht es nicht wie einst im Maien,
daß ihr Rock und Rädchen dreht.
[TOP Seite 2]

Traum im Märzen

Mir träumt, auf weißem Rosse
käm Junker Lenz daher,
umschwirrt von frohem Trosse;
Schwertlilie war sein Speer.

Er schlug an meine Scheiben
mit einem Blütenzweig.
Da konnt ich nimmer bleiben,
ich eilt ihm nach sogleich.

Am Hang bei einer Hecke,
da hielt er an und rief:
"Nun, Trommler Specht, nun wecke
mir auf, was träumend schlief!"

Da hob mit einemmale
ein Klingen an und Blühn –
Am Morgen stob im Tale
der Märzenschnee dahin.
[TOP Seite 2]

Unterm Hollerbaum

(Volkslied)

Unterm Hollerbaum,
unterm Hollerbaum
im Monat Mai.
Ungetreuer Schatz,
weißt du noch den Platz?
Ein Vöglein sang dabei.

Sang im Hollerbaum,
sang im Hollerbaum
von Lieb und Treu.
Und wir hörten zu,
ich, mein Schatz, und du
im schönen Monat Mai.

Doch der Sommer kam,
ja der Sommer kam
und du warst weit.
Ach, das Vöglein log
und die Liebe trog,
nun trag ich Herzeleid.
[TOP Seite 2]

Vogelnest im Schlehdorn

Bei dem Schlehenbusch am Raine
blieb mein kleines Mädel stehen:
Mutter, laß mich bitte bitte
in das Vogelnestchen sehen!

Und wir lugten frohen Auges
in die Dornen, wo vor Tagen
in dem lieben runden Nestchen
sieben kleine Eier lagen.

Aber sieben Trichterhälse
fuhren auf mit feinem Schrillen,
und die Vogeleltern riefen:
Geht doch fort, um Gotteswillen!

Und zu Boden strebt mein Kleinchen
ganz verstört. Es schluchzt und druckt:
Ach, die bösen Dinger – haben –
unsre Eierchen – verschluckt!
[TOP Seite 2]

Vorfrühling

Du schaust so freudig erwartungsvoll, Erde,
spürst du den Schöpferodem des Werde?
Ahnt dir ein wunderholdes Geschehn?
Ich weiß es, du willst dem Frühling, dem jungen,
der deinen Bedränger, den Winter bezwungen,
in Kranz und Schleier entgegen gehen!

Webst du seit Wochen nicht schon im Geheimen
zum Einzug des Siegers aus Knospen und Keimen
den samtgrünen Teppich, mit Blumen bestickt?
Die glucksenden Wässerlein habens verraten,
wie sie dir netzten den duftenden Faden.
Und hast du nicht Scharen von Glöcknern geschickt?

In weißem Kleide und grünem Bande
zum Feste zu läuten hell durch die Lande?
Und alle nehmen die Ladung an.
Die Blümlein erwachen und dehnen die Glieder,
die Vögel probieren die alten Lieder,
Lenzstürme fegen die festliche Bahn.

Welch heimlich geschäftiges Raunen und Regen
an Hecken und Hängen, in Wäldern, an Wegen!
Bald stehst du, glückselige Erde, geschmückt
im duft`gen Gewande aus lichtgrüner Seide,
in Blütenschleier und Brautgeschmeide,
die Blumenkrone aufs Haupt gedrückt.
[TOP Seite 2]

Vorfrühlingstraum von Liebe

Flüsternde Lenzwinde laufen
leise ums schlafende Haus.
Das Mädchen lauscht träumend hinaus,
wie Tropfen fallen aus Traufen.

Rosen und Nachtigallieder,
verzaubert im bläulichen Licht.
Im Tagebuch steht ein Gedicht,
vier Zeilen, von Mondnacht und Flieder.

Ein Mädchen in mondklarer Nacht -
die Erde liegt tief unterm Schnee -
hat flüchtig und ohne Weh
einer kleinen verblühten Liebe gedacht.
[TOP Seite 2]

Wieder blühen die Kastanien

Mir ins Fenster leuchten wieder
der Kastanie rote Kerzen.
Lenzumwehte frohe Lieder
klingen leise mir im Herzen.

Und es tönen fern verklungne
Worte – lange schliefen sie –
Eine nie zuend gesungne
wunderzarte Melodie !

„Wie am Baum die roten Kerzen ,
hell entfacht vom Frühlingswind ,
leuchten selig mir im Herzen
hundert Lichter, holdes Kind.“

Sei zufrieden, meine Seele,
Kerzen brennen ihre Zeit,
und verlöschte Jugendkerzen
sind verstürmtes Jugendleid.
[TOP Seite 2]

Wodansnacht

Sturmwind, was singst du ein garstig Lied!
Sei doch manierlich, mein Kindchen erschrickt!
Meine Rosse durcheilen der Erde Gebiet,
zum Kampfe ruft dröhnend mein kriegerisch Lied,
mich hat der mächtige Wodan geschickt.

So eile zu Wodan, entbiete ihm frei:
Nicht braucht die Erde mehr Kampf!
Randvoll mit Streiten und Kriegsgeschrei
ist sie gefüllt, und donnernd vorbei
fährts in den Lüften wie Rossegestampf.

Nicht reit ich um Ruhe vor Wodans Haus,
wir Stürme, wir lieben den Tanz!
Der Meister selber befahl uns den Strauß!
Denn wisse, nie kam ohne Wetterbraus
ein Lenz in die Lande voll Singen und Glanz.

Und wisse, wie lang auch der Erde Plan
mag grünen - ewig sind Kampf und Gewalt!
Wir Stürme, nie werden wir müde und alt.
Wir springen die Wolken, die Erde an,
wir stürzen das Morsche, wir fegen die Bahn!
Auf, Rosse, zum knospenden Wald!

1943
[TOP Seite 2]

Zauber im Lenz

Im kleinen Park ein Wiesenstück,
ein Teich in blauem Irisrand.
Auf weißer Bank im Grün zurück
zwei junge Menschen Hand in Hand:
O du, du bist das Glück!

Ein rosenroter Blütenbaum
besieht sich anmutsvoll im Teich.
ein Vöglein drin, man sieht es kaum,
und füllt mit Jubel doch so reich
den goldbesaumten Baum.

Das Glöcklein hinterm nahen Tann
streut seine Silberperlen ein.
Und zärtlich lockt ein Tauber dann
sein Täubchen: Du, nur du allein!
O mittagssüßer Bann!

Rann da ein Stückchen Eden nicht
dem Weltenformer aus der Hand?
Hat wundersam ein Lenzgedicht
Gestalt gewonnen? Oder fand
ein schöner Traum ins Licht?
[TOP Seite 2]


Zurück zur Seite 1 (Frühling)